Hallo,

ich möchte an dieser Stelle etwas aufschreiben, was eigentlich nichts mit Neuigkeiten, Platten, Touren und sonstigen Belangen der ganzen Bands zu tun hat, um die es hier sonst immer geht.

Wem das zu privat ist, hier geht es zur wuwton-Seite: >>>>>>>>>

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ist Urs Müller gestorben, ein alter Bekannter von mir. Da Urs unter anderem diese und die UKD-Homepage gestaltet und ins Internet gestellt hat und mir so ungefähr im April oder Mai 2000 diese Türe aufschloß, glaube ich, daß das der am besten geeignete Ort ist, an dem ich ihn ein letztes Mal grüßen kann.

Urs wurde am 20.9.1980 geboren, also auf den Tag zwei Monate vor mir. Ich kannte ihn seit der siebten Klasse, weil er mit meinem Freund und späteren Schlagzeuger Teddy in dieselbe Klasse der Mühlacker Realschule ging. Das erste Mal aufgefallen ist er mir im Kaufhaus Sämann in Mühlacker, wo er sich in einer Gruppe bewegte, in der eben auch Teddy war. Urs trug eine Jacke, auf der Dallas Cowboys stand und sah damals (in meiner Erinnerung jedenfalls) exakt so aus, wie es etwa drei Jahre später Tocotronic taten, was ich rückblickend ziemlich erstaunlich finde. Sonst hatte ich wenig mit ihm zu tun, ich meine mich zu erinnern, daß er zu etwa dieser Zeit auch ein guter Basketballer war, diese ganzen Leute um Teddy spielten viel Basketball, ich gelegentlich auch. Ich muß mal Ordnung in diesen Fluß bringen.

Mit dem Älterwerden kamen wir uns näher. Teddy hatte ab 1996 ein Moped und da er und ich unablässig Lust hatten, damit zu fahren, aber eigentlich nie wirklich wussten, wohin wir fahren könnten, fuhren wir einfach öfter mal zu Urs nach Mühlhausen, ein Vorort von Mühlacker, zehn Minuten von unserem Wohngebiet, dem Senderhang, entfernt. Urs hatte sich von seinem Konfirmationsgeld eine Bang&Olufsen-Stereoanlage gekauft, die mir vorkam wie eine Erfindung von Q in einem James Bond-Film. Auf Tastendruck schoben sich zwei kleine Glastüren beiseite und man konnte eine CD einlegen. Gerüchten zufolge wusch er sich die Hände, wenn er schwarze Booklets durchblätterte, wie das der Danzig-CD, auf der 'Mother' ist, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Ob es stimmt, weiß ich nicht, aber ich weiß, daß er Musikhören und später -machen sehr ernst nahm. Die Musik, die er hörte, fand ich zum Teil merkwürdig, wie Pink Floyd oder Grateful Dead, flächige Sachen, aufwendigen Kram. Ich habe es aber so in Erinnerung, daß es für ihn keine Grenzen oder Beschränkungen gab und er sehr gespannt alles verfolgte, was passierte, auch als wir zur selben Zeit wie Teddys Moped in unser Leben kam, Unser Kleiner Dackel gegründet hatten und die ersten Aufnahmen machten. Urs war der erste, dem wir sie vorspielten. Auf dem Videomitschnitt des allerersten Dackel-Konzertes in Pforzheim im Januar 1997 sieht man irgendwann auch kurz Urs im Bild auftauchen.

Nach der zehnten Klasse machte er noch Abitur in Pforzheim und da ich nach der elften die Schule gewechselt hatte, trafen wir uns häufiger im Zug. Parallel zu meinem wuchs auch Urs Universum immer weiter, wir redeten über Musik, Filme, Bücher und was uns dazu einfiel. Zu der Zeit als wir Abitur machten, 'Ich habe dir Blumen mitgebracht' von UKD erschien und wuwton.de unter Urs Federführung erstmals online ging, hatte er begonnen, sich viel mit experimenteller Elektronik zu beschäftigen, was Sinn macht, wie ich mittlerweile finde und für mich die Fortseztung seines Verständnisses von Pink Floyd und Grateful Dead auf seiner High-End-Anlage ist. Zusammen mit seinem Freund Ron gründete er das Projekt Fortransit, dieser Link >>>> führt zu ihrer Homepage, auf der auch Bilder von einem Auftritt der beiden sind. Der Auftritt fand am selben Tag statt wie das Releasekonzert der Dackel zum Blumen-Album (das später zur Doppel-CD 'It takes five seconds...' werden sollte), deshalb konnte ich nur einen Verzerrer entbehren (einen orangenen Boss-Overdrive, den ich Thomas von Dork Astronaut abgekauft, aber inzwischen bei ebay verkauft habe) als Urs mich frug, ob ich ihm welche von meinen Effekten zur Klangverfremdung leihen könne.

Er begann eine Ausbildung bei einer Firma, die Design und Werbegrafik machte und erkrankte dann an Leukämie, was damals ein ziemlicher Schock war. Ich habe nie detaillert mit ihm darüber geredet, mein Wissen darüber stammte stets von Teddy, dem es entweder leichter fiel, so etwas anzusprechen oder der eine Ebene hatte, auf der er mit Urs darüber reden konnte. So wie ich mich erinnere, konnte er durch Blutplasmaspenden seiner kleinen Schwester in einen Heilungsprozeß geschickt werden, der sich sehr gut anließ. Als ich ihn wieder sah, nachdem er aus seinem ersten, scheinbar ewigen Krankenhausaufenthalt zurückkam, kam er mir vor, wie ich ihn immer gekannt hatte: aufgeräumt, angenehm, engagiert und tatendurstig. Einige Zeit darauf zog er für ein Studium zum Grafiker nach Zürich; wir hielten vor allem per email Kontakt und telefonierten gelegentlich.

Wie sich seine Krankheit zuletzt entwickelt hat, weiß ich auch nur aus Andeutungen, die Teddy, der wohl mit Urs Mutter gesprochen hat, mir mit der Nachricht von seinem Tod weiterreichte.

Für mich kam sein Tod sehr unerwartet und es ist schrecklich und seltsam, das alles zu schreiben. Das letzte Mal, daß ich einen Text über Urs schrieb war, als er mich gebeten hatte, für irgendeine internationale Homepage einen Infotext über Fortransit auf Englisch zu schreiben, mit dem er sehr zufrieden war, da ich in den höchsten Tönen seinen und Rons Schöpfergeist lobte. Und jetzt versuche ich, irgendwie festzuhalten, was ich zu Urs zu sagen habe, damit es nicht verschwindet. Ich könnte viele Sachen mehr erzählen, ich weiß noch genau, wie sein Zimmer in den späten 90erjahren aussah, was an der Wand hing, das Rennrad, das an der Wand lehnte oder daß er mir vor kurzem erzählte, daß er American Analog Set sehr gut fände.

Ich weiß nicht, ob man pauschal sagen kann, daß man mit 25 Jahren zu jung zum Sterben ist, aber im Falle von Urs weiß ich, daß es viel zu früh war. Daß in seinem Kopf viele viele Ideen waren, die eigentlich rausgemußt hätten. Daß Urs als Künstler und Mensch, der Sachen macht und Ideen verwirklicht, noch viel zu tun und viel zu geben gehabt hätte.

Ich bin der Meinung, daß es nicht reicht, einfach nur auf der Welt zu sein, zu existieren oder sich fortzupflanzen. Ich glaube, daß es einen größeren Auftrag gibt und mehr zu tun und zu geben, daß man kommunizieren und Ideen ausbrüten muß, sie am besten in die Wirklichkeit überführen und sich in die Ewigkeit einschreiben. Urs hat immer irgendwelche Sachen gemacht, Musik, Grafik, Fotografien, war neugierig und ein Forscher, der an den entlegensten Orten nach Sachen suchte, die ihn interessieren und die seine Gedankenmaschine anwerfen. Und daß es ihn jetzt nicht mehr gibt und er seinen Weg nicht weiter-, nicht zu Ende gehen kann, all seine unfertigen Ideen seinen lieben Kopf nicht mehr verlassen, ist für mich unendlich traurig und ich möchte ein paar Monate zurückgehen, ihn zum ersten mal in den Arm nehmen und ihm angemessener begegnen als ich es konnte.

Urs war ein kostbarer, kleiner, kluger Mann, er sah angenehm aus und war es auch, seine Gesellschaft war immer schön und eine Bereicherung. Es bringt ihm leider nichts, wenn ich ihm nun dafür danke, daß er so war wie er war, für die Dinge, die er mir gezeigt hat. Aber vielleicht liest es jemand, dem Urs etwas bedeutet oder irgendwann mal bedeutet hat und erinnert sich dann so wie ich jetzt.

Ich befasse mich viel mit Leben und Sterben, was manche vielleicht wissen, die mich oder eine Platte von mir oder einer meiner Bands kennen. Und ich denke manchmal darüber nach, wer von all den Leuten, mit denen man großwird, in die Schule geht, Abitur macht und so weiter, die oder der erste sein wird, der stirbt und was der Todesgrund sein mag. Daß nun Urs unter aberhunderten von Idioten und einer Handvoll Guter der erste in meinen weitläufigen Kreisen ist, der sterben musste, verstehe ich nicht. Er war kostbarer und spezieller als die meisten anderen und es ist ein verdammter Verlust. Und ich wünschte, mir fiele ein Schlusssatz ein, in dem alle Gefühle stehen, die ich gerne ausdrücken würde.

Meine Gedanken sind bei Urs Familie und allen, die sich ihm verbunden fühlen.
 

Björn Sonnenberg, 4.2.2006

email: bjoern@wuwton.de




Urs Müller.
Fotografiert ca. März 2003 in Amsterdam von Alexander Geltz. email: ageltz@gmx.de



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